Die wenigsten erkennen, daß jedes Individuum schöpferisch sein kann, daß es Kreativität in jeder Lebenssituation gibt. ERIKA LANDAU

Statt zur Offenheit führt die konventionelle Erziehung zur Isolation. Statt Zusammenarbeit betont die konventionelle Erziehung Konkurrenzdenken, statt Solidarität ist der einzelne auf sich selbst angewiesen, statt Freude an Kunst wird diese als Nebensache behandelt. Statt des menschlichen Erfolges wird der materielle Erfolg geschätzt.

Die konventionelle Erziehung ist hierarchisch; sie macht das ganze Leben zum negativen Erlebnis. Aber wir wissen heute durch die moderne Psychologie, daß Weiterbildung nur dann konsequent betrieben wird, wenn man daran echte Freude hat.

Was heißt das konkret? Um die Lebensqualität zu verbessern, müssen wir zwei Erziehungstypen besonders schätzen: erstens Vorschulerziehung und zweitens Erwachsenenbildung, denn wir wissen, daß die frühe Erfahrung sehr wichtig ist, weil durch die frühe Erfahrung die Lebensstrategie beeinflußt wird. Eine Kindergärtnerin hat in gewisser Beziehung mehr Einfluß auf das Kind als später der Lehrer. Aber genauso wichtig ist die Weiterbildung. Und was heißt Weiterbildung? Daß man Lernen schätzt, daß man einen Lebensstil entwickelt, der offen ist, aufgeschlossen, daß das Leben selbst progressiv wird, und daß dadurch die Zukunft kreativer gestaltet wird.

Schöpferisches Lernen ist eine der wichtigsten Aufgaben der Menschheit. Es kann nie früh genug anfangen und soll nie aufhören. Das Soziale muß dabei im Mittelpunkt stehen. Das bedeutet, daß wir nicht nur unsere kognitiven Fähigkeiten entwickeln, denn das ist nur eine Seite der menschlichen Natur, Das kognitive Lernen wird heute durch die Technik, durch Computer unterstützt. Viel wichtiger ist, daß wir unseren Nachbarn anders empfinden, daß wir sensibler werden gegenüber Notsituationen.

Überall beobachten wir, daß Depressionen zunehmen; die Suchtgefahr bedroht uns immer mehr. Wie können wir sie bekämpfen? Nur durch eine andere Form des Lernens, die Erziehung als Strategie der Ermutigung betrachtet. Das heißt konkret: echte Interaktion besonders zwischen Eltern und Kindern.

Erziehung findet nicht primär in der Schule statt, sondern überwiegend in der Familie und durch die Medien, denn der Mensch hängt von der Kommunikation ab. Greift man das Fernsehen heraus, dann stellt man eine eigenartige Mischung zwischen Werbung, Sex und Brutalität fest. Ein Kind, das mit fünfzehn Jahren bereits Hunderttausende Werbespots erlebt hat, kann oft nicht mehr kreativ sein.

Wenn wir eine bessere Welt haben wollen, müssen drastische Veränderungen in der Bildung stattfinden, Veränderungen, die das Edle in den Menschen hervorbringen können.

Eine Lerngemeinschaft hängt auch von den sozialen Umständen ab. Die Tatsache besteht, daß in den USA und in vielen anderen Ländern die Familie immer mehr durch Unzufriedenheit und Streit gekennzeichnet ist. In vielen US-Städten endet jede zweite Ehe mit einer Scheidung. Denselben Zustand kann man in Wien beobachten, wo die traditionelle Familie oft Schiffbruch erlitten hat.

Es ist sicher, daß dadurch Kinder immer mehr Probleme haben, die entweder durch Angstzustände oder durch Aggressionen gekennzeichnet sind.
Intelligenzförderung unter diesen Umständen kann nur einen begrenzten Erfolg haben, denn der Mensch in jedem Alter – und besonders in der Kindheit — ist mehr durch Gefühle als durch Rationalität bestimmt.

In der Tat, intelligente Kinder haben meistens mehr emotionale Stabilität als ihre Kameraden, die in einer mittelmäßigen Atmosphäre aufwachsen und deren Fähigkeiten unterschätzt werden und so zum großen Teil unterentwickelt bleiben.

Wenn die Intelligenzförderung in vielen Ländern systematisch gemacht wird, dann besteht die Hoffnung, daß sich ein neues Reservoir für Kreativität entwickelt — ein Reservoir, das für alle sozialen Schichten offen ist und das auch das Klima der menschlichen Beziehungen verbessern kann.

Kreativität bedeutet Wagnis: alles Neue ist ungewiß, ist nicht konform. Es bedarf der inneren Freiheit des Individuums und der Geborgenheit in seiner Umgebung, um aus dem sicheren, vertrauten Kreis in Unbekanntes vorzustoßen. Wenn wir also nicht kreativ sein können, fehlt es uns entweder an Wissen, an innerer Freiheit oder an der Sicherheit der äußeren Verhältnisse.

Kreativität bedeutet Kommunikation: das Individuum ist in ständigem Kontakt mit der Außen- und Innenwelt. Die Offenheit, mit der es seine Umwelt erlebt, ermöglicht es ihm, die Existenz von Problemen zu erkennen und zu empfinden. Die Beziehung in seiner Innenwelt ergibt Assoziationen mit Gewußtem und Erlebtem, die zu einer Lösung führen. Die neue Einsicht, die zunächst nur subjektiv ist, wird dann in eine objektiv der Außenwelt verständliche Form übersetzt.

In diesem Prozess müssen alte Auffassungen und Traditionen überwunden werden. Die Hauptthesen sind in der folgenden Aufzählung zusammengefasst:

1. Kinder wollen ihre Intelligenz vervielfachen,
2. Kinder können ihre Intelligenz vervielfachen,
3. Kinder vervielfachen tatsächlich ihre Intelligenz,
4. Kinder sollten ihre Intelligenz vervielfachen,
5. es ist leicht, Eltern zu lehren, wie sie die Intelligenz ihrer Kinder vervielfachen können.

Daß bis jetzt Bildung von Gewohnheiten bestimmt wurde, kann nicht bestritten werden. In einem gewissen Alter fängt gewöhnlich die Schule an; in einem gewissen Alter wird ein Doktorat erworben; in einem gewissen Alter kommt die Pensionierung.

Es ist sicher, daß dadurch so oft notwendige Innovationen verhindert werden. Immer wieder muß, was zuerst als unmöglich betrachtet wird, neu angefangen werden — eine Aufgabe den wir uns stellen sollten.

„Im Widerspiel des Unmöglichen mit dem Möglichen erweitern wir unsere Möglichkeiten. Dass wir es erzeugen, dieses Spannungsverhältnis, an dem wir wachsen, darauf, meine ich, kommt es an; dass wir uns orientieren an einem Ziel, das freilich, wenn wir uns nähern, sich noch einmal entfernt.“

Jede Form einer schöpferischen Bildung hat eine utopische Basis. Dass heute so viele Millionen Menschen eine Schulbildung bekommen, wurde im Mittelalter als unmöglich betrachtet. War nicht Bildung ein Privileg einer kleinen Elite? War nicht Allgemeinbildung eine Unmöglichkeit? War nicht der einfache Mensch prädestiniert, in einer Atmosphäre der Unwissenheit zu leben?

Das Interesse ist, dass, was zuerst nicht gewagt wird, weil es als eine unlösbare Aufgabe erscheint, durch eine neue Methode, verwirklicht werden kann. Dass dadurch die Eltern positiv angeregt werden, kann nicht bezweifelt werden. Es ist eine bekannte Tatsache, dass immer mehr eine Dialogfähigkeit seitens der Eltern besteht. Sicher kümmert man sich um die Kinder, doch das Äußerliche wird betont, statt die intensive Förderung der ästhetischen, sozialen und intellektuellen Fähigkeiten der Kinder. Man wartet auf die Schule und vergisst, dass eine wertvolle Entwicklungsphase nicht benützt wurde = eine Phase, wo die Lernfähigkeit des Kindes am ausgeprägtesten ist, wo das Kind alles als neu empfindet.

Das Ziel unseres Programms „Positiv Eltern sein“ ist es, zu einer „Sanften Revolution“ einen fundamentalen Beitrag zu leisten. Sind nicht Kinder, die gefordert und gefördert werden, glückliche Kinder? Werden sie nicht als Erwachsene weniger vergeuden und sich mehr verwirklichen? Werden sie nicht versuchen, auf jedem Gebiet ihr Wissen und Können zu vertiefen?